Lebensfreude & die Lust am freien Spiel

Spielend leben, lernen, frei sein – Warum das improvisierte, freie Spiel für Kinder wie Erwachsene so wichtig ist

Spiel Dich frei! Und entdecke nebenbei neue Möglichkeiten Deines Seins.

Sind Sie als Erwachsener noch begeisterungsfähig, neugierig, offen, spontan und flexibel, kreativ, voller Entdeckergeist und Improvisationskraft? Oder wurde Ihnen das im vernunft-, ökonomie- und zweckbetonten Alltag des ernsten Lebens schon abtrainiert?

“Spielen? Einfach nur so, scheinbar ohne Sinn, Zweck und Ziel? Sinnlos, Pausenbeschäftigung, Zeitverschwendung und wohl eher was für Kinder! Lernen? Ja, das ist mal was Vernünftiges, Brauchbares, Seriöses und Ernsthaftes!” So denken nicht wenige rational orientierte und strukturbetonte Menschen, die wir gemeinhin als gereift und erwachsen bezeichnen würden.

Wer überwiegend oder ausschließlich so denkt, hat augenscheinlich vergessen und verlernt, das Spielen und Lernen im Grunde identisch sind! Beides trainiert von Kindesalter an bis ins hohe Alter hinein grundlegende Qualitäten unseres Menschseins : Lebensfreude, Lebendigkeit, Leichtigkeit, spielerisch an etwas herangehen, Offenheit, (Selbst-)Vertrauen, Aufmerksamkeit, Neugier, Begeisterung, Kreativität, Ideenreichtum, Spontanität, Improvisationskraft, Entdecker- und Erfindungsgeist, spielend Herausforderungen meistern und einiges mehr.

Spielen und Lernen sind eine Einheit

“Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.”

(Friedrich Schiller)

André Stern – Autor des Buches Spielen, um zu fühlen, zu lernen und zu leben – meint dazu: „Wir haben die Synonyme Spielen und Lernen nicht nur getrennt, sondern an entgegengesetzten Enden der Ernsthaftigkeitsskala positioniert.“

Welch fatale Fehlbewertung! Spielen – und v.a. freies, ungezwungenes, improvisiertes, von inneren Impulsen getragenes Spiel – wird in unserer auf Konkurrenz, Rendite, Konsum, Technologie, Rationalität, Effizienz und Leistung getrimmten Gesellschaft zu wenig gewürdigt, oft unterschätzt und abgewertet. Spielen ist in einer auf Wirtschaft fixierten Welt halt nur noch systemrelevant, wenn es deutliche Rendite bringt (→ denken Sie beispielsweise an den Corona-Lockdown 20/21 und den trotzdem noch stattfindenden Leistungssport, während Laienspielsport in Vereinen plötzlich illegal war, ebenso wie alle Kultur-/Kabarettveranstaltungen oder Schauspiel-Impro-Workshops trotz funktionierenden Hygienekonzepten!).

Freie Individuen – Spielerische Überbrückung von Verschiedenartigkeit und Konditionierung

Geplantes, vorstrukturiertes, zielgerichtetes und kontrolliertes Lernen – z.B. um aus ökonomischer Sicht ein passend konditionierter Konsument und Arbeitnehmer zu werden – dagegen aufgewertet bis überbewertet. Auch in unseren Lehreinrichtungen wird Kindern und Jugendlichen das freie Spiel schnell ausgetrieben. Ausnahmen bilden hier höchstens noch Kleinkinder, die dürfen auch einfach nur Spielen, einfach “nur so”.

Freies Spielen und zweckgebundenes Lernen jedoch sind auf innigste miteinander verwoben, bilden eine Einheit, die nicht gespalten werden sollte – auch nicht bei Erwachsenen. Beobachten Sie nur einmal, wie hingebungsvoll, ausdauernd und ernsthaft Kinder spielen können, wenn man sie das Spiel auswählen lässt und sie dabei nicht unterbricht. Vielfältige geistige und manuelle Fähigkeiten entwickelt das Kind hierbei, die im späteren Leben von Nutzen sein werden. Auch bei Erwachsenen klappt dies nachträglich noch ganz gut.

Ein Übermaß an Vernunft, Sicherheit und Kontrolle erdrückt lebendiges Spiel und freiheitsliebende Kreativität

“Menschen hören nicht auf zu spielen, weil sie alt werden, sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen.”

(Oliver Wendell Holmes)

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch! Ernsthaftigkeit, Struktur, Wissen, Technologie, ökonomisches Denken, Verstand, Vernunft, Sicherheit und Kontrolle zur rechten Zeit sind nicht per se schlecht oder negativ. Sie sind genauso wie spielerische Qualitäten und Bedürfnisse wesentliche Eigenschaften, die uns Menschen eigen sind.

Auch (maßvoll) Dinge konsumieren, besitzen und genießen, Wettbewerbsgeist, Leistungsbereitschaft oder sich Ziele zu stecken sind brauchbare Qualitäten. Jedoch im Übermaß konditioniert unterdrücken sie die spielerischen Qualitäten in uns Menschen, die auch gelebt sein wollen.

Ungesunde und einschränkende Einseitigkeit entsteht erst, wenn ein übermäßiges Sicherheitsbedürfnis sowie ökonomisches Denken alle Lebensbereiche “infiziert”, der Kopf ständig dominiert, die Ratio diktiert, der Verstand pausenlos analysiert, quantifiziert, objektiviert, verifiziert, plant, absichert und kontrolliert, kontrolliert, kontrolliert! Und wertet bis zum Erbrechen und „weiß“, was für mich und Dich richtig oder falsch ist. Eigene – spielerisch erworbene – Erfahrung wird immer mehr durch vorgekautes, abstraktes und die Kreativität unterdrückendes Wissen ersetzt!

Oder wie der US-amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin meinte: “Die Enteignung des Spiels durch die Marktkräfte droht, die kulturelle Bedeutung des Spiels vollkommen zu entwerten. Damit droht auch der Verlust der kulturellen Sphäre, die aus dem spielerischen Handeln hervorgegangen ist und von diesem erhalten wurde.”

“Spielen ist eine Kulturen gestaltende Kraft!”

(Johan Huizinga)

Der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga stellte dem denkenden Menschen – dem Homo sapiens und dem schaffenden Menschen – dem Homo faber – den Menschen als Spieler, den Homo ludens ausgleichend an die Seite. Huizinga sah im Spiel nicht bloß eine Kulturerscheinung unter vielen, sondern eine gestaltende Kraft der Kulturen. Er meinte, dass Spiel und Ernst in einer Kultur nicht zu trennen sind und dass durch Spielen neue Welten in Philosophie, Wissenschaft, Kunst, Politik und Religion usw. jenseits unserer Alltagswelt entstehen! Spielen und spielerische Leichtigkeit sind sozusagen ein Vehikel unserer kulturellen Entwicklung, aber ein übermäßiges Sicherheitsbedürfnis, Kontrolle, Druck und Zwang sind der Tod jedweder freien Gesellschaft. Leider geht unsere Gesellschaft aus meiner Sicht immer mehr diesen Freiheit einschränkenden Weg. Schade!

Was wäre ein Ausgleich für diese eklatante Unausgewogenheit zwischen Spielen und Lernen?

Innere und äußere Freiräume für den Homo ludens  – den spielenden Menschen – in Dir kreieren! Spielerische Qualitäten wieder stärker „ins Spiel“ des Lebens einbringen! Das lustvolle, Sinne anregende, Neugier erweckende, sich aus sich selbst heraus entwickelnde freie Spielen und Improvisieren wagen, ohne Wertung, Druck und Zwang und festgelegtes Ziel.

“Das Menschenleben ist aus Ernst und Spiel zusammengesetzt, und der Weiseste und Glücklichste verdient nur derjenige genannt zu werden, der sich zwischen beiden im Gleichgewicht zu bewegen versteht.”

(Johann Wolfgang von Goethe)

  • Wagen Sie mehr Freiheit im Denken und reduzieren Sie Konzept, Schema, Dogma, Ratio, Verstand und Kontrolle.
  • Mehr “Flow” im Augenblick und Vertrauen in den Fluss des Lebens und des Seins.
  • Direkte Selbsterfahrung, mehr Offenheit, Mitgefühl und Hingabe, Neugier, Experimentierfreude und Entdeckergeist.
  • Weniger Zielfixierung und mehr Weg- bzw. Prozessorientierung.
  • Weniger Medienkonsum voll sinnentleerter Ablenkung und vorgekauter Unterhaltung.
  • Weniger virtuelle Scheinbeziehungen (Stichwort Social Media, Social Distancing durch Video-Chats u.a.) und mehr echte Begegnungen und Spiele: Spielerische Begegnungen von Mensch zu Mensch, auf Augenhöhe.

Kleine Kinder brauchen fürs Spielen kaum Anleitung, dirigierendes Eingreifen von “wissenden” Erwachsenen oder vorgefertigtes Spiel-Zeug. Sie machen – sofern sie sich natürlich entwickeln durften – immer das Bestmögliche mit dem, was vorhanden ist. Try and error: Sie experimentieren, machen “Fehler” (aus Erwachsenensicht!), scheitern, sind frustriert, probieren erneut, haben Erfolg und Freude oder probieren was anderes, wenn sie partout nicht weiterkommen.

Lernpsychologen nennen dies ” selbstorganisiertes, intrinsisch (von innen heraus) gesteuertes Lernen”. Sie entwickeln dabei spielend neue Wege und Welten, bahnen und trainieren ihre neuronalen Netzwerke in Gehirn und Nervensystem, ihren sensorischen und motorischen Empfindungssinn, erweitern ihren Gefühlsausdruck und die mentalen Fähigkeiten. Sie erfahren Grenzen und Möglichkeiten ihres Menschseins. Und: Kinder nehmen ihr Spielen ernst!!! Das sollten meiner Meinung nach Erwachsene auch tun. Weil echtes Spielen eben viel mehr als nur Spielen ist!

“Spielen ist eine Tätigkeit, die man gar nicht ernst genug nehmen kann.”

(Jacques-Yves Cousteau)

Oder wie der Dalai Lama aus buddhistischer Perspektive meint: “Es geht darum, alle Erscheinungen (des Lebens) als Spiel zu begreifen!” Welche Gelassenheit könnte sich damit einstellen, wenn wir Menschen so dächten!

Daher: Rettet das freie, unmittelbare Spiel, denn es scheint vom “Artensterben” bedroht zu sein!

Autor: Dieter Wolf, München – 14.01.21

Literatur:
André Stern – Spielen, um zu fühlen, zu lernen und zu leben
Gerald Hüther/Christoph Quarch – Rettet das Spiel! Weil Leben mehr als funktionieren ist
Johan Huizinga – Homo Ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel
Institut für Ludologie (Spielwissenschaft) – https://www.ludologie.de

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Barbara Weinzierl ist Schauspielerin (s.a. Vita & Videos), Kabarettistin, Lachyoga- und Impro-Schauspiel-Trainerin und Malerin. Außerdem ist Sie als Moderatorin & Rednerin für Veranstaltungen zu buchen, bietet Präsentationstraining & Vortragscoaching an sowie Regie für Bühnenprojekte. Sie lebt in München und ist mit ihren Programmen seit 2005 auf Tour im deutschsprachigen Raum. Die Texte zu ihren Bühnen-Programmen schreibt sie als Autorin selbst.